Resilienz für das Handeln entsteht durch Psychological Safety

„Los, Peter, du schaffst das. Probier’s einfach mal. Und denk dran: was uns nicht umbringt, macht uns stark.“

„Aber ich kann hier schon nicht mehr stehen, Papa, und du weißt doch, dass ich Angst vor den hohen Wellen habe!“

„Deswegen sollst du ja schwimmen lernen.“

Diese (glücklicherweise fiktive) Situation würden wir alle sofort als extrem verantwortungslos verurteilen. Das ist klar. Und die meisten von uns würden sich auch sicherlich nicht wundern, wenn Peter kein sonderlich lernfreudiger Typ wird und sein Sicherheitsbedürfnis eine ungesunde Ausprägung entwickelt.

Wenn Unternehmen ihre Teams allerdings in ähnliche Situationen bringen, finden wir das leider eher normal. Und dann fragen wir uns, warum die Teammitglieder nicht bereit sind, kleine agile Experimente durchzuführen. Oder warum Teams so sehr an alten Strukturen festhalten. Wenn wir dann genauer hinschauen, wird klar, dass sie zum einen nicht schwimmen können, und zum anderen nur noch minimalen Bodenkontakt haben. Und, da sie nicht  doof sind, können sie erahnen, dass bald größere Wellen auf sie zukommen.

Nun kann man, wenn man sich in neuen Gewässern bewegen will, nicht ständig im flachen Wasser herumwaten. Und man kann auch nicht immer warten, bis der Wetterbericht nur Sonnenschein vorhersagt (zumal auch diese Prognosen manchmal danebenliegen können). Aber für gewisse überlebenswichtige Dinge kann man schon sorgen: ein bisschen Schwimmunterricht im flachen Wasser, Strecken planen, die man auch bei höherem Wellengang meistern kann, Schwimmwesten… da fällt uns sicherlich einiges ein.

Psychological Safety – eine Schwimmweste für raue Gewässer

Was Teams befähigt, sich auch unter schwierigen Bedingungen kreativ und innovativ über Wasser zu halten, ist die Gewissheit, dass sie im Team gut aufgehoben sind[1]. Das Wissen, dass sie als Menschen nicht abgewertet werden, wenn sie Fehler machen, solange sie daraus lernen. Und dass sie nicht belächelt werden, wenn sie alberne Ideen äußern. Die Zuversicht, dass es im Team geschätzt wird, wenn man auch unangenehme Fragen stellt. Und die Grundeinstellung, dass man, um in komplexen, schwierigen Kontexten gute Leistungen zu erbringen, eine gute Lernkurve braucht.

Laut Amy Edmondson kann dieses Gefühl der psychologischen Sicherheit durch drei Faktoren gefördert werden:

  1. gezielte Risikobereitschaft
  2. Situationsdemut
  3. Neugierde

Gezielte Risikobereitschaft

Wenn allen klar ist, dass es (noch) keine fertigen Antworten gibt und deshalb die Sichtweisen und Beobachtungen aller Teammitglieder wichtig sind, führt dies zu einer offeneren Atmosphäre. Indem man also die anstehende Aufgabe als Lernaufgabe definiert, und nicht als Ausführungsaufgabe, fördert man eine verantwortungsvollere Haltung, bei der die Teammitglieder sich ihrer gegenseitigen Abhängigkeit bewusst sind. Nur wenn alle ihr Scherflein beitragen, kann der Erfolg gelingen. Dabei ist es auch wichtig, dass die einzelnen Schritte, die unternommen werden, darauf ausgerichtet sind, möglichst viel und schnell zu lernen. Das geht jedoch nur dann, wenn alle die Augen und Ohren offenhalten und, natürlich, ihre Erkenntnisse transparent machen.

Situationsdemut

Mit Situationsdemut ist gemeint, dass sich alle im Team eine Prise Bescheidenheit erhalten sollten. Es werden Fehler passieren. Denn wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wichtig ist, dass man diese Fehler sieht, bespricht und daraus lernt. Das funktioniert jedoch nur, wenn keiner sich auf das hohe Ross der Unfehlbarkeit setzt. Denn Arroganz fördert Tunnelblick. Und wenn im Vorfeld klar wäre, wo die Lösung zu finden ist, befände sich das Team nicht in unbekannten Gefilden. Deswegen ist besonders in komplexen Kontexten die Weitwinkellinse angesagt.

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Neugierde

Je mehr Fragen gestellt werden, je früher das Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet wird, je schneller falsche Annahmen identifiziert und ausgeräumt werden können, desto schneller können Lösungen erzielt und Antworten gefunden werden. Zudem wird durch häufiges Fragen und Hinterfragen auch sichergestellt, dass sich die Teammitglieder involvieren, und dass sie mitdenken, mitreden und aktiv werden. Es gilt also, eine wissenschaftliche Haltung der Neugierde zu ermöglichen. Naja, sagen wir, eine gesunde wissenschaftliche Haltung der Neugierde.

Leistungsfähigkeit steigt mit psychological safety

Wenn wir uns psychologisch sicher fühlen und gleichzeitig in einem herausfordernden Umfeld bewegen, bewegen wir uns am spannenden Limit. Wir haben vielleicht noch die Rettungsleine in der Hand, können aber schon nicht mehr stehen. Wir wissen aber auch, dass wir jederzeit wieder ans sichere Ufer geholt werden können, wenn es doch mal brenzlig wird.

Das ist der Bereich, in welchem Menschen viel und schnell lernen, knapp außerhalb der eigenen Komfortzone, in welcher es zwar angenehm, aber auf Dauer auch etwas langweilig wäre. Und deutlich außerhalb der Distress Zone, in der zwar die Herausforderungen groß sind, die Menschen sich jedoch eher bedroht fühlen und davor zurückschrecken, Neues zu probieren. Und gerade, wenn neue Teammitglieder an Bord geholt werden müssen, weil sich die Rahmenbedingungen verändert haben, ist psychologische Sicherheit ein essentieller Faktor bei der schnellen Integration.

Wir wissen, dass Menschen, wenn sie befürchten müssen, für Fehler bestraft zu werden, auf Nummer sicher gehen. In diesem Modus sind sie aber viel zu sehr damit beschäftigt, sich abzusichern und misstrauisch ihre Teamkollegen zu beobachten, als dass sie ihre Expertise einbringen könnten. Für welche sie ja ursprünglich an Bord geholt wurden. Fehlende psychologische Sicherheit führt also zu einer großen Verschwendung von Ressourcen.

Neue Definition von High Potentials?

Bisher galten diejenigen MitarbeiterInnen als sogenannte high Potentials, die besser als ihre KollegInnen waren und sich durch schnelleres Lernen und bessere Ergebnisse hervorgetan haben. Dabei wird betont, dass dies natürlich nicht auf Kosten anderer sein sollte  – aber ist dann die Leistungsfähigkeit eines Individuums wirklich die richtige Messgröße?

Auch heißt es, die Menschen mit hohem Potenzial sollten bitte auf jeden Fall vorbildlich die Werte der Organisation verkörpern, in der sie unterwegs sind. Das klingt ebenso vernünftig, auf den ersten Blick. Was bedeutet das aber in einem Umfeld, in dem die „alte Führungsriege“ sich über Durchsetzungskraft definiert? Wo bisher eine fertige Antwort mehr Autorität hatte, als eine interessierte Frage?

Wäre es nicht besser, Teammitglieder als High Potentials zu definieren, die besonders gut darin sind, eine psychologisch sichere Atmosphäre im Team zu gestalten? Die gut darin sind, andere an Bord zu holen, ein vertrauensvolles Klima zu erschaffen und ein Team für eine lernfreudige, experimentierfähige Haltung zu begeistern? Die sich und das Team darauf fokussieren, die Fähigkeiten und Talente im Team zu erkennen und zu nutzen? Statt Energie darauf zu verschwenden, nach Sündenböcken für vermeintliche Flops zu suchen.

Ein lernfreudiges Klima

Kinder lernen am besten an einer selbstgewählten Angstschwelle. Damit ist gemeint, dass Kinder sich selbst gerne herausfordernde Aufgaben stellen, und dabei ihre Fähigkeiten und auch Lernbedarfe ganz gut selbst einschätzen können. Wenn sie denn eine sichere und unterstützende Basis haben, von der aus sie explorieren können.

Viele der zehn Faktoren, die ein kreatives Klima begünstigen (Ekvall[2]), zielen genau in diese Richtung. In einem kreativen Umfeld können Menschen auf Unterstützung zählen, wenn sie mit ihren Fragen und Ideen nicht weiterkommen.  Es herrscht eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der sowohl den Individuen Vertrauen entgegengebracht wird, dass sie ihren bestmöglichen Beitrag leisten, als auch auf die Organisation oder das Team vertraut wird, dass sie einen bei einem Misserfolg auffangen. Genauso sind sachliche Diskussionen wichtig, persönliche Konflikte aber schädlich. Kurz und gut: es herrscht ein Growth Mindset, in welchem ein Team bereit ist, sich weiter zu entwickeln und Herausforderungen begrüßt. Das Team brennt darauf schwimmen zu lernen, möchte nach neuen Erfahrungs-Schätzen tauchen und hält zusammen, wenn höhere Wellen kommen.

No thief, however skillful, can rob one of knowledge, and that is why knowledge is the best and safest treasure to acquire. (L. Frank Baum)

[1] “Psychological safety is a shared belief that the team is safe for interpersonal risk taking.” (Edmondson S. 350) in Edmondson, A. (1 June 1999). „Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams“ (PDF). Administrative Science Quarterly. 44 (2): 350–383. doi:10.2307/2666999.

[2] Ekvall, G. (1971), Creativity at the work place, Stockholm: Swedish Council for Personnel Administration.