Ohne Plastik drum herum saugt unser Gehirn Informationen auf wie ein Schwamm!
Plastik ist derzeit in aller Munde – und damit meine ich nicht die Strohhalme, sondern die schlimmen Auswirkungen von Plastikmüll auf unsere Umwelt. Es gibt allerdings noch einen anderen Kontext, in welchem Plastik gefährlich ist: beim Lernen. Unser Gehirn ist ein hochgradig spezialisiertes Organ, das Informationen aufnehmen und verarbeiten kann, um uns für zukünftige Situationen zu wappnen. Wenn man es denn lässt. Ich habe aber das Gefühl, dass viele Menschen ihr Gehirn in Plastiktüten packen, informationsabweisend, ideengesichert und kommunikationsresistent. Da hilft das pfiffigste Lerntool nicht, und hochpädagogische Didaktik oder inspirierende Gedanken perlen einfach ab.
„Lernen ist Erfahrung, alles andere ist nur Information.“ sagte Albert Einstein. Wie stellen wir also sicher, dass Menschen bereit sind, Erfahrungen aufzunehmen, zu verarbeiten und dann an geeigneter Stelle wieder herauszuholen? Wie ermöglichen wir ihnen ein agiles Mindset, eine entwicklungsorientierte Haltung, die Menschen dazu bewegt, auf Herausforderungen zuzugehen, um an ihnen zu wachsen und zu lernen? Und warum in aller Welt stecken Menschen ihr Gehirn in Plastiktüten?
Zuviel Neues macht Status-orientiere Menschen ängstlich
Um mal bei der letzten Frage anzufangen: Eine naheliegende Erklärung ist, dass Menschen sich vor neuem Input schützen wollen, da sie durch die nicht abreißende Informationsflut überfordert sind. Mit anderen Worten: wenn Menschen mit einem statischen Mindset in ein komplexes Umfeld geraten, fühlen sie sich ständig bedroht. Das statische Mindset beschreibt nämlich eine Haltung, die sich über einen gewissen Status definiert. Der Status kann über Intelligenz erreicht werden, Erfolg, Macht etc. – was zählt, ist das Ergebnis. Und ein einmal erreichtes Ergebnis wird durch neue Herausforderungen natürlich in Frage gestellt.
Lernen ist eine Frage der Haltung
Menschen, hingegen, die sich über den Prozess definieren, also darüber, wie sie schlau, erfolgreich, mächtig etc. geworden sind, können ihre Erfahrungen auch auf neue Situationen anwenden. Sie sehen komplexe Umfelder eher als Chance, ihre Kompetenz weiter auszubauen. Eben zu wachsen und agil mit den Herausforderungen zu interagieren. Dies führt auch dazu, dass sie Kritik als Lerngelegenheit sehen, Rückmeldung sogar einholen, um sich und ihre Ideen zu verbessern. Und wenn sie auf Hindernisse treffen, suchen sie nach Möglichkeiten, diese zu überwinden. Sie schauen hin und arbeiten mit dem, was sie vorfinden, anstatt die Augen vor der Realität zu verschließen oder Image-Management zu betreiben.
Agiles Denken passt gut zu den Experimenten mit schnellen Zyklen von der Idee zur Rückmeldung. Es hilft, Ideen zu passgenauen Innovationen zu machen, die Kunden wirklich brauchen. Mit einem statischen Mindset kann man auch coole Ideen haben, man findet nur leider erst hinterher heraus, ob irgendjemand am Markt diese Ideen auch so bombastisch findet, wie man selbst. Und wenn nicht, dann will man diese Rückmeldung am liebsten gar nicht wahrhaben. Diese Scheuklappen lähmen die Kommunikation. Der Fokus geht weg von Verbesserung und Wachstum, die mit einem growth Mindset einhergehen (siehe „Mindset“ von Carol Dweck), und schwingt um zu einer Fixation auf Verteidigung und Rechtfertigung. Es geht nicht um die Sache, die Innovation, sondern darum, was mit dem eigenen Ruf passiert, mit dem Bild, das Andere von einem haben.
Dieser extrinsische Fokus ist nicht nur schlecht für’s Geschäft, sondern auch schlecht für die Seele, zumindest auf Dauer. Zu dem Thema Motivation habe ich unter „Wo gibt’s diese Katzenleckerlis?“ etwas ausführlicher geschrieben.
Lernenschübe statt den Schwarzen Peter schieben
Zurück zur Frage von oben: Wie ermöglichen wir Menschen ein entwicklungsorientiertes Mindset? Wie können wir erreichen, dass Menschen (wieder) Spaß am Lernen haben? Dass es ihnen wichtiger ist, nach dem Hinfallen wieder aufzustehen und es nochmals zu probieren, als die Krone geradezurücken und dann zu schauen, wem sie die Schuld dafür in die Schuhe schieben können, über die eigenen Füße gestolpert zu sein?
Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Das sollte eigentlich offensichtlich sein. Da es jedoch so viele Menschen und sogar Berater gibt, die behaupten, es gäbe Patentrezepte (z.B. mehr Innovation durch die Einführung eines Ideenmanagement Systems oder agiles Arbeiten durch die Implementierung von Scrum), möchte ich dem hier ganz explizit widersprechen. Agiles Denken kann durch Veränderungen im Umfeld gefördert werden, aber „installiert“ werden kann es nicht.
Es ist hilfreich sowohl auf der Ebene der Organisationsstruktur, als auch bei den Führungskompetenzen anzusetzen. Auch die Arbeitspraktiken und die gelebten Werte im Unternehmen spielen eine Rolle. Doch letztendlich sind alle diese Punkte nur Ausdruck des Menschenbilds, das in einer Organisation vorliegt. Um agileres Denken, ein kreativeres Mindset und mehr Freude am Lernen zu ermöglichen, sollte man also schauen, wie man ein solches Bild von mündigen MitarbeiterInnen, von lernwilligen, motivierten Angestellten als wünschenswert kommunizieren kann.
Möge der Fokus mit euch sein!
Und wie so oft geht die Energie dahin, wo die Aufmerksamkeit hingeht. Wenn wir also stärker darauf fokussieren, was wir aus einer Gegebenheit lernen können, als wer daran schuld ist, dass sie sich zugetragen hat, sind wir schon auf einem guten Weg. Wenn wir uns eine Idee anschauen, um zu sehen, was wir aus dem MVP lernen können, orientiert sich das in Richtung Weiterentwicklung. Rückmeldung zu einer Idee auf eine Art und Weise zu geben, welche die Idee stärkt, hat konstruktive Auswirkungen. Demgegenüber ist Feedback nach der Sandwich Methode, bei dem der Vorschlaghammer in Watte gepackt wurde, immer noch destruktiv. Es ist eben nur ein getarnter Vorschlaghammer, ein Werkzeug zum Zerstören.
Und dieser Vorschlaghammer zerstört nicht nur die Idee, um die es gerade geht. Er stellt auch die Weichen für den Umgang mit zukünftigen Rückmeldungen, denn das Gehirn merkt sich solche Erfahrungen. Wenn ich befürchten muss, dass Kritik an meiner Idee auch ein Angriff auf mich als Person ist, dann werde ich mich ganz anders wappnen. Ich werde mein Möglichstes tun, um das Feedback gar nicht erst in meine Nähe kommen zu lassen. Ich werde Scheuklappen anlegen und langfristige Folgen für eigene Fehler ausblenden, so lange es irgendwie möglich ist. Ich werde tunlichst vermeiden, neue Dinge zu probieren oder meinen Blickwinkel zu variieren. Experimente und kurze Feedback-Zyklen empfinde ich als geradezu bedrohlich. Da ziehe ich doch lieber ein Regencape an.
Feedback resistent…
Ähnlich verhält es sich mit Entlohnungssystemen. Boni sind an sich schon mit Vorsicht zu genießen (aufgrund ihrer Eigenschaft, dass sie extrinsische Motivatoren sind). Wenn sie dann auch noch auf Basis von Einzelleistungen gezahlt werden, die im schlimmsten Fall sogar im Vergleich zu anderen Teammitgliedern bewertet werden, dann sind sie regelrecht gefährlich. Sie verlagern die Aufmerksamkeit auf einen künstlichen Konkurrenzkampf und auf politisches Taktieren im Team – und diese Energie kann dann nicht mehr für produktives Arbeiten genutzt werden. Zudem behindert solch ein interner Wettbewerb, dass sich psychologische Sicherheit einstellt. Somit wird es unwahrscheinlicher, dass Ideen frei geäußert werden. Damit geht jeglicher Mehrwert von interdisziplinären, cross-funktionalen Teams verloren – die doch aber heutzutage so mühsam zusammengesteckt werden.
Es gibt unzählige weitere Beispiele für einen Fokus auf das statische Mindset. Für zementierte Strukturen und festgefahrene Praktiken, die in einer sich so schnell wandelnden Welt nicht mehr hilfreich sind. Für ein growth Mindset müssen wir den Fokus verschieben. Es gilt, Experimentierfreude und Lernen zu ermutigen. Menschen ernst zu nehmen und ihnen Raum zum agilen Denken zu geben. Und endlich diese Plastiktüten zu vermeiden – nicht nur wegen der Weltmeere.
Neueste Kommentare