der Ukraine-Krieg aus motivationspsychologischer Sicht

Wir sehen, dass die Menschen in der Ukraine gerade Unglaubliches leisten, und das, obwohl sie gerade in einer katastrophalen Lage sind. Oder vielleicht gerade „weil“. Ich hege große Bewunderung für den Mut und die Kraft, mit denen die Ukrainer:innen ihr Land verteidigen. Und ich bin zutiefst bestürzt über den Preis, den sie derzeit zahlen. Auch befürchte ich, dass der Preis, den die restliche Welt für diesen grausamen Krieg zahlen wird, noch nicht absehbar ist. Ja, es geht zurzeit darum, in der Ukraine weitere Todesopfer zu verhindern und die Zerstörung des Landes aufzuhalten. Doch darüber hinaus geht es um noch viel mehr: Um unsere Weltordnung, um unser Verständnis von Menschenrechten und Demokratie und darum, wie wir uns vor Raubbau an Menschen und unserem Planeten schützen.

Was hat das mit Motivation zu tun?

Die stärkste und widerstandsfähigste Art der Motivation ist die autonome Motivation: Die Motivation, die aus uns selbst heraus entsteht, wenn wir von dem, was wir tun, überzeugt sind. Wenn unsere drei psychologischen Grundbedürfnisse erfüllt sind. Diese psychologischen Grundbedürfnisse nach Selbstbestimmtheit, Kompetenz und Eingebundenheit spielen in diesem Krieg eine große Rolle, vielleicht sogar die entscheidende Rolle. Warum mir das Hoffnung macht, möchte ich in dieser Serie aus der ukrainischen Perspektive (Teil 1), der russischen Sicht (Teil 2) und aus dem Blickwinkel Deutschlands (Teil 3) erläutern.

Motivation der Ukrainer:innen aus psychologischer Sicht

Für die Menschen in der Ukraine geht es derzeit um Alles. Es geht darum, zu überleben und die eigene Existenz zu sichern. Es geht aber für viele Menschen noch um viel mehr. Sie setzen ihr Leben aufs Spiel, um einer größeren Sache willen. Sie riskieren ihr eigenes Leben für andere Menschen, für Dinge und vor allem Werte, an die sie glauben.
Von der Warte der Motivationspsychologie aus spielt hier die jüngste Geschichte der Ukraine mit rein. Die Menschen haben Demokratie erlebt und weniger Korruption. Menschen haben deutlich mehr selbst entscheiden können, hatten Zugang zu freien Medien außerhalb von Propaganda, konnten sich ihre eigene Meinung bilden – und haben erlebt, wie das allein schon ihre Lebensqualität beeinflusst hat. Das zahlt stark auf das Konto der Selbstbestimmtheit ein. Im Punkt der Kompetenz haben sie eine freie(re) Marktwirtschaft erlebt, die Menschen konnten sich weiterentwickeln und weiterbilden. Sie konnten etwas bewirken, ihre Gesellschaft neu gestalten. Sie haben in einem hohen Maß Selbstwirksamkeit erlebt und Bestärkung dafür erfahren, sich für ihre Freiheit einzusetzen.
Zudem entsteht in einer demokratischen Gesellschaft viel mehr Gemeinschaft als in einem angstgesteuerten Regime, in welchem man nicht weiß, wer Freund und wer Feind ist. Es gibt mehr Raum für Sinn und Werte; eine gemeinsame Vision stärkt die Eingebundenheit.
Und all das steht für die Ukrainer:innen nun mit auf dem Spiel. Und auch wenn ihr Land angegriffen wurde, ist die Entscheidung, es mit allen verfügbaren Mitteln zu verteidigen, ihre eigene. Und ihr Mut zeigt Wirkung. Und sie stehen zusammen.

Was mir Hoffnung macht für die Verteidigungskraft der Ukrainer:innen

Ihre autonome Motivation befähigt sie dazu, bessere Entscheidungen zu treffen, denn diese Motivation aktiviert eine andere kognitive Ebene. Auf dieser Ebene ist der Umgang mit komplexen Situationen, in denen viele Unsicherheiten bestehen, souveräner. Das Verhalten ist überlegter und instinktive Kurzschlussreaktionen können vermieden werden. Auch können autonom motivierte Menschen kreativer auf alle Schwierigkeiten zu reagieren, die ihnen entgegenstehen. Sie werden Herausforderungen mit mehr Resilienz begegnen. Und meine Hoffnung ist, dass ihnen genau diese Faktoren einen kriegsentscheidenden Vorteil verschaffen.

Was können wir noch tun?

Ich glaube allerdings auch, dass die Nationen, die der Ukraine zur Seite stehen wollen, die autonome Motivation der Ukrainer:innen stützen und nähren müssen. Wir müssen Ukrainer:innen Entscheidungsfreiheiten geben, selbstbestimmt auf den Angriff zu reagieren. Ihnen die Mittel an die Hand geben, selbstwirksam zu agieren und die Kompetenz zu haben, diesem Überfall wirkungsvoll zu begegnen. Dazu gehört m.E. auch, dass unser Bundestag auf eine Ansprache von Präsident Selenskyj mit angemessener Empathie reagiert und nicht einfach zur Tagesordnung übergeht. Die Worte von Selenskyj einfach abperlen zu lassen gefährdet sowohl die wahrgenommene Selbstwirksamkeit als auch die gefühlte Verbundenheit. Die Botschaft kann in der ukrainischen Bevölkerung großen Schaden anrichten.
Die Solidarität der deutschen Bevölkerung ist hingegen ungebrochen. Und zur Erfüllung des Bedürfnisses nach Eingebundenheit leistet dies einen großen Beitrag. Die Projekte und Spendenaktionen helfen also direkt und indirekt und sind damit ein toller Hebel.

#WCID #MakeIdeasNotWar #CreateForUkraine

Wer sich engagieren möchte: bitte hier entlang ;-)

Am 01.04. veranstalte ich mit Kolleg:innen aus meinem Netzwerk pro bono den online Workshop „Make Ideas Not War“. Mehr Info dazu findet ihr hier: Make Ideas Not War Workshop Anmelden könnt ihr euch auf dem Miro-Board: https://miro.com/app/board/uXjVOFW2kHI=/
Die Fragestellungen sind mit einer Kollegin erarbeitet, die selbst fliehen musste, das Konzept des Workshops legt großen Wert auf die Vernetzung zur Umsetzung nach dem Workshop. Gerade heute haben wir noch eine Fragestellung von JobAidUkraine.com dazu bekommen, die wir gerne in unseren Workshop integrieren. Danke @Marcus Diekmann für euer grandioses Projekt. JobAidUkraine ist übrigens aus motivationspsychologischer Sicht wirklich Gold wert für die betroffenen Menschen. Danke auch für deine schnelle Reaktion. 