– der Ukraine-Krieg aus motivationspsychologischer Sicht –
Blickwinkel Deutschlands
Wenn auf Krisen wie den Krieg in der Ukraine geschaut wird, geht es häufig darum, wie wir mit ihnen umgehen können, um aus psychologischer Sicht den geringstmöglichen Schaden zu nehmen. Diese Sicht ist wichtig – mir geht es jedoch darum, zu betrachten, was getan werden kann, um eine möglichst wirkungsvolle und gesunde Handlungsmotivation zu fördern, mit der wir die Krise als solches bekämpfen können. Dies muss auf zwei Ebenen passieren: Auf der systemischen Ebene müssen motivationsförderliche Verhältnisse geschaffen werden. Und auf der individuellen Ebene kann jede:r Einzelne von uns etwas tun.
In der jetzigen Situation sind viele Menschen sehr aktiv und stärken damit ihre sogenannte autonome Motivation. Autonome Motivation entsteht, wenn die drei psychologischen Grundbedürfnisse nach Selbstbestimmtheit, Kompetenz und Eingebundenheit erfüllt sind. Was wir aus motivationspsychologischer Sicht noch tun können, diesmal mit dem Blickwinkel Deutschlands, lege ich im heutigen Artikel dar. Die Betrachtungen aus einer Ukrainischen Perspektive (Teil 1) und einer Russischen Sichtweise (Teil 2) findet ihr in meinem Blog.
Ja, wir befinden uns in einer vergleichsweise komfortablen Position, da Deutschland von Putin derzeit nicht konkret bedroht wird. Dennoch ist die gesamte Situation sehr beängstigend, da sie nicht nur großes Bedrohungspotenzial in sich trägt, sondern auch weitreichende Folgen für unsere Gesellschaft in Deutschland haben wird.
Für den letzten Punkt spielt es eine große Rolle, dass wir durch das schlechte Pandemie-Management gesellschaftlich geschwächt sind. Die Reserven sind ziemlich aufgebraucht. Da fällt es Menschen schwer, gleich die nächste Krise zu meistern. Und doch sind die Reaktionen aus der deutschen Bevölkerung insgesamt einfach großartig. Ich hätte nicht gedacht, dass noch so viel Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung steckt – und hoffe sehr, dass diese Energie uns auch als Land etwas gesunden lässt.
Auf System-Ebene
Anders sieht es auf Bundesebene aus. Hier sollte aktiv und selbstbestimmt gehandelt werden und nicht auf Putins nächsten Schritt gewartet werden. Es sollten Entscheidungen für eine nachhaltige Lösungen getroffen werden, aber es wird aus Furcht vor kurzfristigen Nachteilen eher ein langfristiges Übel erzeugt.
Dabei zeigen Umfragen, dass ein Großteil der Bevölkerung auch Einschnitte für uns in Kauf nehmen würde, wenn sie nur helfen, Putin das Handwerk zu legen. Hier wieder nicht auf die Menschen zu hören (wie auch schon so oft in der Pandemie) untergräbt die Selbstbestimmtheit massiv. Und der Bund könnte sehr elegant die offensichtlich notwendige und bisher so stiefmütterlich behandelte Energiewende als Maßnahme zur Förderung des Friedens kommunizieren. Damit würde die Ampel Stärke zeigen und Autonomie erzeugen.
Auch in Punkto Kompetenz hat die deutsche Regierung einige systemische Optionen. Sie kann den Menschen Hebel an die Hand geben, selbstwirksam zu sein. Das Tempolimit und autofreie Sonntage wären kostenlose Möglichkeiten, um weniger Geld in Putins Kriegskasse zu spülen. Weiterhin könnte die deutsche Politik entscheiden, großzügig das Umrüsten von Heizungen auf CO2-freie Formen zu finanzieren. Das würde den Menschen in Deutschland langfristig günstigere und umweltvergträglichere Heizungen bescheren – mit dem Sahnehäubchen, dass sie ganz individuell etwas für den Frieden getan hätten. Und auch in dem Punkt der Weiterentwicklung und des Lernens könnte die Regierung viel tun: Sie könnte dafür sorgen, dass jetzt und in Zukunft Fake-News und Propaganda eingedämmt werden. Dafür müsste natürlich in Bildung, Social Media Kompetenz, entsprechende wirkungsvolle Gesetzgebung und deren Durchsetzung investiert werden. Das funktioniert nicht über Nacht – aber man könnte es jetzt anstoßen und den Bedarf klar aufzeigen.
Für die Eingebundenheit wäre es ein kleiner Genie-Streich, wenn der Bund aus Solidarität mit den Finanzschwachen alle CO2- und Fossil-Subventionen stoppen würden und dieses Geld an ärmere Haushalte ausgezahlt würde. Dies könnte über Heizkostenzuschüsse funktionieren, oder über den oben erwähnten Heizungsumbau, kostenlosen Nahverkehr … Auch eine Industrie-Wende wäre möglich; die nachhaltige Produktion und Produkte fördern, dabei aber die Unternehmen für CO2 Belastungen zur Kasse bitten. Wenn diese Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen als erstrebenswerte und preiswerte Vision kommunizieren wird, könnte das den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfähig machen und – der psychologische Effekt – uns wieder ein Bild vom größeren Ganzen vermitteln, dessen wir ein Teil sind. Damit würde Eingebundenheit erzeugt werden.
Jede:r Einzelne
Das bringt mich zur individuellen Ebene. Hier steht so viel mehr auf dem Spiel als unsere Wirtschaft. Denn wenn Putin gewinnt, und sei es einfach, indem er die Ukraine völlig zerstört (wonach es derzeit fürchterlich aussieht), dann besiegt damit auch der Faschismus die Demokratie, die Diktatur bezwingt die Freiheit und der egomanische Kapitalismus unterwirft das nachhaltige Wirtschaften. Nicht nur in der Ukraine. Auch bei uns. Vielleicht bei uns nicht gleich morgen – aber wohl übermorgen. Und wir müssen jetzt alle dafür einstehen, dass das nicht passiert.
Dies sehen, glaube ich, viele ähnlich wie ich – daher ist die Welle der Solidarität in der Bevölkerung auch so groß. Dafür bin ich sehr dankbar.
Damit wir nicht in eine Schockstarre rutschen oder in ihr verharren, müssen wir jedoch alle selber mit anpacken und uns an den eigenen Haaren aus dem Demotivations-Sumpf ziehen: Um unsere Selbstbestimmtheit zu maximieren, müssen wir uns auf der einen Seite informieren, um entscheidungsfähig zu bleiben, auf der anderen Seite dafür Sorge tragen, dass wir in der Flut von Nachrichten nicht untergehen, weil wir z.B ins Doom-Scrolling verfallen. An dieser Stelle ist es einfach wichtig, gut auf sich zu achten und sich die eigene Wahlfreiheit gezielt vor Augen zu führen. Wie das geht, dazu haben viele Expert:innen schon sehr hilfreiche Sachen geschrieben, und das macht mich optimistisch. Denn das zeigt, dass dieses Thema adressiert wird.
Um unser Bedürfnis nach Kompetenz zu erfüllen, hilft es, zu lernen. Auch hier können wir uns gezielt informieren. Zum Beispiel darüber, wie wir die Erkenntnisse zu autonomer Motivation dazu nutzen können, mit einer Krise besser klarzukommen. Die andere Komponente des Kompetenz-Bedürfnisses ist es, Selbstwirksamkeit zu erfahren. Es hilft uns, wenn wir sehen, dass unsere Handlungen einen Unterschied machen. Der muss nicht groß sein. Aus diesem Grund bin ich so froh darüber, dass so viele Menschen in Deutschland sich derzeit für die Geflüchteten engagieren. Denn das wird auch uns guttun, wenn wir aktiv gegen dieses Unglück angehen. Auch wenn es nur kleine Dinge sind, die wir angesichts des großen Leids der Ukrainer:innen tun können: Über das Tun selbst werden wir auch wieder handlungsfähiger und resilienter. Das macht mir Hoffnung.
Und die brauchen wir. Denn es steht, wie gesagt, viel auf dem Spiel. Aber gemeinsam können wir auch viel bewegen. Dafür sollten wir eine gemeinsame Vision der Zukunft entwickeln. Wenn das die Politik nicht schafft, dann müssen wir das eben selbst in die Hand nehmen. Uns darauf besinnen, welche Werte uns wichtig ist und als Gesellschaft gemeinsam daran arbeiten, diese Werte zu schützen. Nicht nur jetzt, sondern auch zukünftig. Und meine Hoffnung ist, dass wir diesen schrecklichen Krieg als Weckruf empfinden und aus unserer demokratischen Lethargie aufwachen.
Mein Fazit
Auch wenn wir jetzt durch die Pandemie und vor allem deren Missmanagement durch die Politik in den letzten zwei Jahren alle sehr ausgelaugt und demotiviert sind, müssen wir uns jetzt aufraffen, etwas zu tun. Um der Ukrainer:innen willen, die bösartig überfallen wurden, um der Russ:innen willen, die unter Putins propaganda-gestütztem Regime leiden, aber auch um unserer selbst willen. Um unsere Demokratie zu verteidigen, unser Land wieder lebensfreundlicher zu gestalten. Und um unserer Motivation wieder auf die Beine zu helfen, damit wir wieder zu Kräften kommen, als Gesellschaft, als Wirtschaft, als Gemeinschaft. Damit wir eine lebenswerte Zukunft erschaffen, voller Ideen, Nachhaltigkeit, Solidarität und Hoffnung. Mit Selbstbestimmtheit, Kompetenz und Eingebundenheit.
#MakeIdeasNotWar #CreateForUkraine.
Einladung
Und wenn ihr sofort damit anfangen wollt: In unserem Workshop „Make Ideas Not War“ könnt ihr nicht nur Ideen generieren, wie wir Geflüchteten und Kriegsopfern helfen können, sondern euch auch gleich vernetzen, um diese Ideen aktiv anzustoßen. Am 01.04. veranstalten wir pro bono den online Workshop „Make Ideas Not War“. Mehr Info dazu findet ihr hier: https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:activity:6910517711290646528/
Die Anmeldung zum Workshop erfolgt auf Miro, dem Tool, das wir neben Zoom nutzen werden: https://miro.com/app/board/uXjVOFW2kHI=/
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